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Medikamente und Lebensmittel
Wechselwirkungen von Medikamenten und Lebensmitteln: „Johanniskraut und
Grapefruit können richtig giftig sein“
Viel hilft viel, denkt so mancher während der kalten Jahreszeit. Und
kompensiert mangelnde Sonnenstunden und Bewegung mit Vitamin-Tabletten oder
einer Extraportion Obst und Gemüse. Klingt gesund – kann sich aber ins Gegenteil
verkehren, falls gleichzeitig Medikamente eingenommen werden. Denn die
Ernährung kann die Wirkung von Arzneimitteln stark verändern, warnt Prof. Dr.
Martin Wehling vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und
Toxikologie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Die
Folgen können erheblich, wenn nicht sogar tödlich sein.
Altersmediziner wissen es schon lange: Nehmen betagte Patienten zu viele
Medikamente gleichzeitig ein, steigt durch diese Polymedikation (auch
Multimedikation oder Polypharmazie genannt) die Wahrscheinlichkeit von
unerwünschten Wechsel- und Nebenwirkungen. Aber auch als gesund geltende
Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel können die Wirkung von Arzneimitteln
verändern – und das ganz unabhängig vom Alter der Person.
„Es gibt nicht ohne Grund immer den Hinweis in Beipackzetteln, ob ein Medikament
vor, beim oder nach dem Essen eingenommen werden soll“, sagt Prof. Dr. Martin
Wehling. „Das muss beachtet werden, sonst kommt vom Wirkstoff im Blut entweder
zu wenig oder zu viel an. So muss beispielsweise das Schilddrüsenhormon L-
Thyroxin eine halbe Stunde vorher eingenommen werden, sonst interagiert es mit
dem Essen und wird nicht richtig freigesetzt.“
Hierbei geht es Prof. Dr. Wehling weniger um Nahrungsergänzungsmittel oder
Immunpräparate – „die sind oft komplett wirkungslos“ –, sondern um natürliche,
unveränderte Lebensmittel. „Das Problem ist, dass die Leute glauben: Alles
Pflanzliche ist gut, alles Chemische ist schlecht“, bringt es der Pharmakologe auf
den Punkt. „Dabei kann auch Pflanzliches wie Johanniskraut und Grapefruit richtig
giftig sein.“
Eine Warnung, die überrascht. Gilt doch Johanniskraut als Hausmittel mit
stimmungsaufhellendem, stabilisierendem und angstlösendem Effekt. „Je nach
Menge verursacht Johanniskraut drastische Wechselwirkungen“, sagt Prof. Dr.
Wehling. Die Wirksamkeit von Statinen sei herabgesetzt, die Wahrscheinlichkeit für
eine Digoxinvergiftung steige, ebenso das Risiko für eine Herz- oder
Nierenabstoßung nach einer Transplantation. Außerdem gelte: „Vor einer Operation
sollte Johanniskraut mindestens für fünf Tage abgesetzt werden, sonst kann es zu
verstärkten Blutungen kommen.“
Ähnlich vernichtend auch das Urteil zur Grapefruit. „Sie ist ein Beispiel dafür, dass
ein Nahrungsmittel keinen Ergänzungsstoff braucht, um richtig giftig zu werden“,
stellt der Mannheimer Universitätsprofessor klar. Demnach führt der Stoff, der die
Frucht bitter macht, zu massiven Interaktionen bei der Aufnahme von Arzneimitteln:
Neben der Bioverfügbarkeit verändert sich die Wirksamkeit von Immunsuppressiva,
Statinen und Kalziumantagonisten, was besonders für Herz- und Krebspatienten
schwerwiegende Folgen haben kann. Prof. Dr. Wehlings Rat lautet daher knapp:
„Esst keine Grapefruit wenn Ihr Arzneimittel einnehmt. Der Nutzen ist zu gering, die
Gefahren sind zu groß. Schmecken tut sie (mir) sowieso nicht.“
Als fast genauso überflüssig stuft Prof. Dr. Wehling die Einnahme von Ginkgo-
Präparaten ein. Diese erfreuen sich aufgrund ihrer angeblich positiven Wirkung bei
Gedächtnis-, Konzentrations- und Durchblutungsstörungen sowie bei Schwindel,
Ohrensausen und Kopfschmerzen großer Beliebtheit – was der Experte deutlich
anders sieht: „Es ist ein völlig überflüssiges Mittel mit nur einer bekannten Wirkung,
nämlich dass es Blutungen auslösen beziehungsweise die Wirkung von
blutverdünnenden Arzneien verstärken kann.“
Auch für Naschkatzen und Koffein-Junkies hat Prof. Dr. Wehling schlechte
Nachrichten: Wer eine Tüte Lakritz am Tag isst, riskiert Bluthochdruck. Dies wird
verursacht durchs Glycyrrhizin, das in der Wurzel der Süßholzpflanze vorkommt.
Koffein wiederum kann bei Personen, die an einer Herzmuskel- oder
Herzkranzgefäßerkrankung leiden, ganz erhebliche Herzrhythmusstörungen
auslösen. Noch gravierender sei das dem Experten zufolge bei Energydrinks. „Das
Zeug ist wirklich giftig, weil es extreme Mengen an Koffein und anderen Stoffen
enthält“, sagt er. „Es sind Fälle beschrieben, bei denen Jugendliche – die eigentlich
keine Herzprobleme haben – einen Liter getrunken haben und gestorben sind.“
Für Prof. Dr. Martin Wehling ist das Problem auf einen Punkt zurück zu führen:
„Koffein ist von seinen ganzen Charakteristika ein hochwirksames Medikament. Nur
weil es in der Nahrung natürlich vorkommt, wird es nicht als solches untersucht und
mit entsprechenden Gefahrenhinweisen versehen.“
Doch Koffein hat auch einen positiven, überraschenden Effekt speziell für alte
Menschen. „Wenn man Patienten mit prädementiellem Syndrom, die an
Schlaflosigkeit leiden, abends Kaffee gibt, dann werden sie ruhiger. Das sorgt für
eine sogenannte paradoxe Schlafförderung. Abhängig von der individuellen
Konstitution kann Koffein also ganz unterschiedliche Wirkungen haben.“