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Infektionen
Wenn Infektionen das Immunsystem durcheinanderbringen
Mitunter attackiert der Körper sich nach einem Infekt auch mal selbst
Ein Alptraum für Lieschen M.: Nachdem sie zehn Tage lang an einer schweren
Mandelentzündung herumlaboriert hatte, war die Sache endlich durchgestanden.
Der Hals ist nun nicht mehr rot, die Stimme ist wieder da, und auch das Schlucken
ist keine Qual mehr. Doch neun Wochen später geht es wieder langsam bergab:
Schlapp fühlt sie sich jetzt. Sie gerät schnell außer Atem, schiebt es aber zunächst
auf den Stress im Job. Doch plötzlich ist auch das längst überwunden geglaubte
Fieber wieder da. Die Beschwerden nehmen zu. Der Hausarzt zieht die Notbremse
und schickt sie gerade noch rechtzeitig in die Klinik.
Was wie in diesem Beispiel harmlos beginnt, kann sich schnell zu einer
lebensbedrohlichen Situation entwickeln. Die Rede ist von einem rheumatischen
Fieber. Es handelt sich um eine von mehreren Erkrankungen, die zwar indirekt die
Folge einer Infektionserkrankung sind, die aber viele Wochen danach auftreten
können und nicht mehr direkt durch die ursprünglichen Keime verursacht werden.
Stattdessen spielt hier das Immunsystem der Betroffenen verrückt. Es wird durch
winzige Moleküle auf der Oberfläche der Keime durcheinandergebracht und stürzt
sich Wochen später wie fanatisch auf Strukturen des eigenen Körpers. „Solche
Autoimmunerkrankungen nach einem Infekt sind glücklicherweise selten“, sagt
Professor Klaus Pfeffer von der Universität Düsseldorf. Sie rechtzeitig zu erkennen
ist allerdings äußerst wichtig, denn sie können fatale Folgen haben.
Beim rheumatischen Fieber schlägt sich der Übereifer des Immunsystems vor allem
aufs Herz. Die Bakterien, die Mandel- oder Rachenentzündungen verursachen, sind
häufig A-Streptokokken, die auf ihrer Oberfläche ein Eiweiß-Molekül tragen; dieses
Antigen wird als M-Protein bezeichnet. „Es ähnelt unglücklicherweise einem
Molekül, das auch beim Menschen vorkommt, nämlich dem Myosin in
Herzmuskelzellen“, erläutert Pfeffer im Vorgriff auf sein MEDICA-Referat. Die Folge:
Körper eigene T-Abwehr-Zellen, die sich ursprünglich beim Kampf gegen die A-
Streptokokken an deren M-Protein orientiert haben, machen sich jetzt durch die
Verwechselung am eigenen Herzen zu schaffen. Das wiederum führt dazu, dass die
Funktion des Herzens langsam nachlässt und vor allem die Herzklappen
unwiederbringlich geschädigt werden.
Rheumatisches Fieber ist nicht die einzige Autoimmunkrankheit
„Das rheumatische Fieber ist bei uns zum Glück selten geworden. In
Entwicklungsländern ist es dagegen ein großes und zunehmendes Problem“, weiß
Pfeffer. Über die Gründe dafür, warum Mitteleuropäer von dieser Komplikation heute
anders als früher weitgehend verschont bleiben, können auch die Wissenschaftler
nur spekulieren. Möglicherweise hänge es damit zusammen, dass bei den vor allem
gefährdeten Kindern heute bei Rachenentzündungen eher ein Antibiotikum
verschrieben wird als früher, so Pfeffer. Das klingt plausibel, ist aber schwer
beweisbar. Eine alternative Erklärung lautet, dass nur ganz bestimmte Stämme von
A-Streptokokken die Fähigkeit haben, ein rheumatisches Fieber zu verursachen. Die
geographische Verteilung der unterschiedlichen Streptokokkenstämme aber ändert
sich ständig.
Das rheumatische Fieber ist zwar die bekannteste, aber beileibe nicht die einzige
Autoimmunerkrankung, die als Folge eines banalen Infekts auftreten kann. Pfeffer
betont vor allem die reaktive Arthritis: „Das ist eine durch fehlgeleitete
Immunreaktionen verursachte Gelenkentzündung“. Ursächlich sind dabei nicht so
sehr Racheninfekte, sondern eher durch Keime ausgelöste Durchfallerkrankungen,
die meist fünf bis zwölf Wochen vor den Gelenkproblemen auftreten. Typisch ist zum
Beispiel eine Salmonelleninfektion, aber auch die häufigeren Campylobacter-
Durchfälle können sich auf die Gelenke schlagen.
Ein paar Wissenschaftler gehen aber noch viel weiter und diskutieren die Frage, ob
nicht einigen viel häufigeren Erkrankungen auch Abwehrreaktionen gegen den
eigenen Körper zugrunde liegen: Typ-1-Diabetes zum Beispiel ist eine Erkrankung,
bei der Immunreaktionen des eigenen Körpers die insulinproduzierenden Zellen der
Bauchspeicheldrüse ausschalten. Und auch bei der Multiplen Sklerose scheinen die
Abwehrzellen verrückt zu spielen.
Warum der eine Mensch nach einem Infekt eine Autoimmunerkrankung entwickelt,
der andere aber nicht, das ist noch nicht so ganz geklärt. „Es gibt klare
Zusammenhänge mit bestimmten Genen“, so Pfeffer. Das Gen HLA-B27 zum
Beispiel, das den Bauplan für eine immunologisch bedeutsame Oberflächenstruktur
auf Abwehrzellen enthält, scheint mit den reaktiven Gelenkentzündungen
gleichzeitig vorzukommen. Einfluss auf die Behandlung hat diese Erkenntnis bisher
allerdings nicht.